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![]() Es m�ge deine letzte Trauer seinvon Herta M�ller, aus "DIE ZEIT", 11. August 1995 Das m�ssen Sie lesen", sagte ein Arzt und B�cherfreund nach meiner Lesung in Bad Nauheim. Er schenkte mir das Buch "Der lange Arm der Mullahs. Notizen aus meinem Exil" von Said. Am Abend davor las ich in Aachen. An diesem Tag gab der B�rsenverein des Deutschen Buchhandels als Tr�gerin seines Friedenspreises Annemarie Schimmel bekannt. Der Aachener Buchh�ndler Peter Klein war fassungslos: "Frau Schimmel hat nach einem Vortrag hier den Mordaufruf gegen Salman Rushdie unterst�tzt." Was sich in der FAZ in eine "bis heute unbewiesen gebliebene Behauptung" verwandelt, steht in einer eidesstattlichen Erkl�rung, der Frau Schimmel bis heute nicht entgegengetreten ist. Saids Mutter verwandelt sich in eine Uhr. Ein einziges Mal in seinem Leben hat Said die Mutter gesehen. In einem Zimmer sa�en f�nf Frauen auf dem Teppich, als er auf der T�rschwelle stand. Eine erhob sich, umarmte ihn und weinte. Sie schenkte ihm eine Uhr, aber sie zeigte ihm nicht ihr Gesicht. Said war damals dreizehn Jahre alt. Drei Jahre sp�ter lief er um sein Leben. Er floh vor dem Schah ins deutsche Exil. Die Uhr nahm er mit. In Saids Gedichtband "Wo ich sterbe ist meine Fremde" steht auf der R�ckseite des Titelblatts: "Said, 1947 in Teheran geboren, lebt seit 1965 in M�nchen." "M�nchen" und die Nummer eines Postfachs. So schrumpft ein Name zum knappen Vornamen, eine Stra�e zum Briefkasten auf der Post. In Saids Adresse pocht die Todesangst, wie in seinen Gedichten:
Die Uhr der Mutter war zuerst ein falscher Anfang gewesen. Sp�ter die Last einer Mutter, die sich in eine Uhr verwandelt hatte. Said trug sie durch all die Orte, in die er kam. Ihr Ticken wollte geliebt werden. Um die Last loszuwerden, schenkte Said die Uhr eines Tages in Paris einem fl�chtigen Bekannten, den er nie mehr wiedersah. Sp�ter aber schrieb er das "Selbstbildnis f�r eine ferne Mutter", ein langes Erz�hlgedicht als Buch.
Saids Texte sp�ren immer die Zeit: als in die Welt Gejagter mit einer Uhr. Das Ticken bleibt, auch nachdem die Uhr verschenkt ist. Es will weiter geliebt werden, als eigenes Leben. Eines, das Said noch hat, im Unterschied zu seinen vielen, vielen Toten. Dieses Ticken ist der Grund, weshalb der Autor so unvermittelt die sch�nen, leisen S�tze �ber Freundschaft und Heimat schreiben mu�. Von der vernichteten Zeit jedes hingerichteten Freundes, "mit dem ich eine Zeit teilte, die dann mit ihm hingerichtet wird, weggepustet, ausgel�scht", l��t Said sich in die Pflicht nehmen. Weil das Regime im Namen Gottes t�tet, �bernimmt er Verantwortung im Namen get�teter Freundschaften und geraubter Heimat. Wer diese Position einmal bezogen hat, kann seinem Land nicht den R�cken kehren. "So als ob Chomeini mit jedem get�teten Freund die Zeit verk�rzt, die mich von meinem eigenen Tod trennt." In der "verk�rzten Zeit" stehen die L�cken derer, die es nicht mehr gibt. Die Worte an sie sind Selbstgespr�che. "Siehst du, so sind die Zeiten, wer sich �ndert, wird hingerichtet." Nach der Vertreibung des Schahs, 1979, kehrt Said in den Iran zur�ck. Wie viele "be�ugt" er das Geschehen der islamischen Revolution. Die R�ckkehr wird im Handumdrehen so bitter wie ein sp�ter geschriebenes Gedicht "Ausflug mit einem Freund, der nie im Ausland war":
F�r eines war Saids kurze R�ckkehr in den Iran lang genug: Sie lieferte endg�ltig den Beweis, da� keine R�ckkehr eine Heimkehr wird.
Auf den vorletzten Seiten des Buches dankt Said der deutschen Sprache, in der er nun schreibt.
Weil das Deutsche sogar an dieser Stelle Gef�hle zur�cknimmt, bringt es an anderen den Humor der Verzweiflung nicht auf. Ihm fehlt der Witz der Ausweglosigkeit, die freche Tarnung "Trinken wir ein Bier auf meine Hinrichtung", wie Saids persische Freunde sich begr��en. Und wenn der iranische Dichter Ahmad Schamlu �ber den Schah und Chomeini Bilanz zieht, klingt das so: "Es gibt H�hner, die man sowohl bei einer Hochzeit als auch bei einer Trauerfeier schlachtet." Die Gratwanderung vom Weinen zum Lachen - "noch nie hat Blei das Rebhuhn von seinem stolzen Gang abgehalten" - wurde dem Deutschen von denen, die es Muttersprache nennen, nicht beigebracht. Der deutsche Verlierer ist kein Schalk. Darum hat die deutsche Sprache zu danken f�r die sinnlich-souver�ne Art, mit der Said "das kleine, z�rtliche Wort NEIN" vor Diktatoren stellt. F�r das Menschliche in der kurzen Szene: "Ich treffe J. in einer europ�ischen Hauptstadt. Vor einigen Jahren wurde er verhaftet, weil er zwanzig Kilo Dynamit gekauft und versteckt hatte. (. . .) Ich fragte ihn, warum er das Dynamit gekauft habe, was er damit vorgehabt habe und vor allem, warum gleich zwanzig Kilo? Er antwortete: Wei�t du, es war so billig." Vielleicht erlernt diese Sprache von ihren "ungebetenen G�sten" den Humor des Trauerns. Und ihre Sprecher reden vielleicht, wenn sie Saids Tagebuch gelesen haben, statt �ber die Angst des Westens vor dem Islam �ber die Angst der Muslime vor Muslimen im Islam. Und �ber Mullahs, die durch Todesurteile nicht Gott sch�tzen, sondern ihre Diktatur. "Chomeini kam nach siebzehn Jahren Exil als Triumphator in den Iran zur�ck. Auf diesem Flug - sp�ter Flug der Revolution genannt - begleiteten ihn seine engen Mitarbeiter und internationale Journalisten. Nach der Landung, als Chomeini das Flugzeug verlassen wollte, fragte ihn ein franz�sischer Journalist vor laufender Kamera und im Angesicht von Millionen, die Chomeini begeistert willkommen hie�en, was er in diesem Moment f�hle. Sadegh Ghotbzadeh, der sp�ter Au�enminister wurde und noch sp�ter auf ausdr�cklichen Befehl von Chomeini hingerichtet wurde, dolmetschte die Frage des franz�sischen Journalisten. Chomeini antwortete: "Nichts!" Ghotbzadeh, dem die Antwort peinlich war, wiederholte die Frage. Chomeini wiederholte barsch: "Nichts!" Erst viel sp�ter im Buch kommt Said auf die Hinrichtung des Ministers zur�ck. Das Todesurteil hie� "Hochverrat", seine Vollstreckung soll mit Sch�ssen in die F��e angefangen und lange gedauert haben. Saids Notizen stehen unterhalb der gro�en Politik, in den t�glichen Begebenheiten, die das Ausland nicht erreichen. Sie aber sind das Innenleben eines Landes. Das Tagebuch gibt Nachrichten aus iranischen Zeitungen wieder, protokolliert Telephongespr�che, die, mit der Angst im Mund, nicht lang werden k�nnen. Es versichert sich der Gespr�che mit Besuchern und Emigranten von daheim. Dazwischen stehen eigene Gedichte von Said. So wird das Zittern des Chronisten vor den Fakten von diesen Fakten getrennt. Wenn Said sich in den Notizen als "ich" zul��t, ist er nur Zeuge. "Unmittelbar nach der Revolution haben die Revolutionsgardisten 10 000 K�he hingerichtet, weil sie aus Israel importiert worden waren und zionistische Milch gaben. Seither herrscht im Iran Milchknappheit und jetzt auch Mangel an Milchpulver." Durch karge, kluge Auswahl des Materials stellt Saids Tagebuch das Staatsgeschehen mitten ins einzelne, t�gliche Leben und umgekehrt. Es entsteht von selbst das Bild eines privaten Mullahstaates und der verstaatlichten Privatheit eines Volkes. Drei�ig Jahre lebt Said nun im deutschen Exil. Und der unverge�lich sch�ne Satz von Ruth Kl�ger "Freiheit, das hei�t weg von" stellt sich hier immerzu in Frage. Bei seinem Tod hat Chomeini sich den Nachfolgern mitgegeben als Ideologie, wie Saids fremde Mutter sich mitgab als Uhr. Um den Mord f�r ewig zu legitimieren, hat Chomeini Gott auf die Erde geholt. Und unter die Erde gebracht hat er Menschen - auch im Exil. "Was ist das f�r ein Gott, der die Ermordeten sauber haben will", fragt ein Entkommener. Im Gef�ngnis wurden Scheinhinrichtungen inszeniert. Nur wenn den zum Tode Verurteilten befohlen wurde, "sich gr�ndlich zu waschen", wu�ten sie, da� nun eine wirkliche Hinrichtung bevorstand - die eigene. Im Namen Gottes wird den zum Tode Verurteilten vor der Hinrichtung "von vertrauensw�rdigen �rzten" Blut abgenommen f�r die Krankenh�user oder Blutbanken, "damit es zur Behandlung der verletzten Revolutionsgardisten verwendet werden kann". Die medizinische Autopsie und Anatomie wurden von Chomeini verboten und sp�ter wieder zugelassen mit der Einschr�nkung: "Die �rzte sollen die Leichen der Juden, Christen und Zarathustrianer vorziehen und erst dann die Leichen der Muslime nehmen." Gott teilt auf Erden sogar die Waschmaschinen zu. Eine �ltere Frau wird nach dem Antrag zum Kauf einer Waschmaschine in die Moschee bestellt. "Der junge Mullah forderte mich auf, meine H�nde zu zeigen. Ich tat es. Daraufhin sagte er: Sie haben gesunde H�nde. Sie brauchen keine Waschmaschine. Mein Antrag wurde abgelehnt." Vom Gef�ngnis bekommen die Angeh�rigen die Leichen erst, wenn sie "die verschossenen Kugeln" bezahlt haben. Und im Stadion z�hlt der Kommandant des Exekutionskommandos "bis drei". Das hineingetriebene Volk "rief einstimmig und begeistert ,Feuer!`, und das Urteil wurde vollzogen." Unter das Wort "vollzogen" schreibt Said nur einen kurzen Satz: "Drei davon waren meine Freunde." Das Gottesgeschrei der Mullahs �hnelt dem Geschrei der "verwilderten Katzen" auf den Gef�ngnish�fen, die "zu oft das Blut der Hingerichteten geleckt haben. In den N�chten, in denen es keine Hinrichtungen gab", erz�hlt ein geflohener politischer Gefangener, "schrieen diese Katzen bis zum Morgengrauen." "Es m�ge deine letzte Trauer sein" bleibt im Iran und im Exil ein unerf�llter Wunsch. Und in Deutschland, das Said "meine Fremde" nennt, ehrt der B�rsenverein nach Jorge Semprun nun eine Frau, die "unpolitisch" lebt. Immerhin gibt es eine Gemeinsamkeit der beiden Preistr�ger: Im Nationalsozialismus sa�en beide in Schreibstuben: Semprun im Konzentrationslager Buchenwald als H�ftling und Frau Schimmel von 1941 bis 1945 im Ausw�rtigen Amt, als Dolmetscherin. Said stellt "f�nfzehn Fragen an Salman Rushdie". Die erste lautet: "Wei�t du, da� die iranischen Hausfrauen dich noch heute verdammen, wenn sie f�r Eier, Milch, Seife Schlange stehen, weil das Regime in Teheran gleichzeitig mit der Verk�ndung deines Todesurteils auch die Lebensmittelpreise anhob, so da� dein Name mit der Verteuerung verbunden ist?" Frau Schimmel will gesehen haben, wie "alte M�nner" auf den Stra�en weinten, weil Rushdies "Satanische Verse" sie in ihrem Glauben verletzten. Aber nicht gesehen haben will sie, da� dies Urteil in Wirklichkeit grinsende, ideologische Pragmatik ist. Zwischen schier endlosen Friedh�fen, die das Regime bereits im Land geschaffen hat, brauchte es dringend ein prominentes Opfer im Ausland. Der Ha� des Volkes, der trotz Angst und Verf�hrung w�chst, mu�te so weit wie m�glich vom Regime abgelenkt werden. Im Iran wurden auch Theaterleute, S�nger, Ballett�nzer, Redakteure, �bersetzer, Journalisten, Wissenschaftler, Schriftsteller verboten, verhaftet, hingerichtet. Frau Schimmel sollte wissen, da� ihre Ehrung nur m�glich wurde durch eigenes Denken in einem selbst gew�hlten Beruf. Genau darauf steht im Iran die Todesstrafe. "Armer Salman Rushdie", schreibt Said. Rushdie wird einsam bleiben und wird selbst dann noch bedroht sein, wenn iranische Staatsm�nner eines Tages das vom Westen so ersehnte St�ck Papier aus der Tasche ziehen. Denn der Mordaufruf bleibt g�ltig, solange er nicht f�r alle Muslime so vehement zur�ckgenommen wird, wie er verk�ndet wurde. Welche Gl�ubigen m�gen wegen Rushdie geweint haben auf den Stra�en? Der Vizeau�enminister des Iran wohl nicht. Auf die vielen Hinrichtungen angesprochen, sagte er zu einem deutschen Journalisten: "Ich bitte Sie zu bedenken, da� die iranische Bev�lkerung j�hrlich um 1 200 000 Menschen zunimmt." Die Gefangenen, deren Zahl er geheimh�lt, gehen nicht auf den Stra�en. Und jene, die, wie es die Mullahs vorschreiben, f�r das Auswendiglernen einer Sure des Korans Freigang erhalten, haben andere Peiniger. Die Hingerichteten, deren Zahl der Minister geheimh�lt, weinen nicht mehr. Auch die auf der Flucht Erschossenen nicht. Und die Millionen Iraner, die ins Exil gezwungen sind, weinen manchmal auf anderen Stra�en, aus anderen Gr�nden. Zu der Zahl des Ministers sagt Said seinen Toten: "Das war seine Antwort auf deinen Tod. Als ob diese Zahl dich ersetzen k�nnte." In der eidesstattlichen Erkl�rung des Buchh�ndlers Peter Klein steht: "In Kenntnis der Strafbarkeit einer falschen eidesstattlichen Erkl�rung erkl�re ich an Eides statt, da� Frau Schimmel mir am 22. Juni 1989 unmi�verst�ndlich zu verstehen gegeben hat: Ich unterst�tze die Fatwa (den Mordaufruf!) gegen Salman Rushdie." Der Brief, den Frau Schimmel nach dieser Beschuldigung an den Buchh�ndler geschrieben hat, ist eine im wahrsten Sinne mystische Antwort. Sie entschuldigt sich darin daf�r, da� sie den Buchh�ndler unwissentlich und unwillentlich gekr�nkt habe. Sie schreibt, es t�te ihr leid, wenn dies dennoch der Fall sei und versichert, da� ihr eine solche Absicht v�llig fern liege. Sie hofft, im Laufe des Winters wieder einmal nach Aachen zu kommen und m�chte diese, wie sie beteuert, unangenehme Sache aus der Welt schaffen. Sie schlie�t den Brief mit einem Hinweis auf ihren geliebten Rumi, der gesagt hat, man soll den Dornstrauch, der auf dem Wege steht, m�glichst bald ausrei�en, damit der Weg f�r Blumen frei wird. |