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blume

blume said said

auszug aus "grenzg�nge. eine erinnerung"

said der herbst in teheran kann kalt sein, aber an diesem tag ist es warm. ein h�ndler ruft seine ware aus — gekochte rote beeten. wir kinder bleiben an seinem hand- karren stehen und essen die beeten.

wenn ich die heimat beschreiben will, kann ich nicht �ber die fahne, die nationalhymne oder den stolz sprechen. das w�re in diesem jahr- hundert ein scherz. ich mu� von den sinnen sprechen. den farben und den ger�chen, die es nur in teheran gibt.

ich war ein einzelkind und oft einsam. h�ufig bin ich ein oder zwei stunden lang allein durch die stadt gelaufen. heute sind im iran die d�rfer leer, und die st�dte �bervoll; aber damals konnte man noch durch die stra�en spazieren. ich bin ein fu�g�nger geblieben, bis heute, und wenn ich an teheran denke, denke ich an diese spazierg�nge. wir lebten damals im s�dosten der stadt in einem alten, ehrw�rdigen viertel, fr�her einmal dem ersten mit elektrischem licht. in meinem geburtshaus gab es ein zimmer mit einem balkon auf den innenhof hinaus. mit seinen zwei beeten, zwei birken, geranien und jasmin. mein allererster schulweg f�hrte mich jeden morgen durch die goethestra�e.

ich will nicht nostalgisch werden. die bilder vor meinem inneren auge sind mir ein wenig fremd geworden — ein wenig ausgefranst —, weil ich sie lange nicht gesehen habe. dennoch vermisse ich das bild der esel. jeder obstverk�ufer hatte einen esel. und er hatte f�r jedes obst ein lied. seine lieder waren melodisch, fast elegisch. zuweilen wurden sie unterbrochen vom geschrei der esel — zur freude von uns kindern. die eisverk�ufer brachten ihre bl�cke mit dem esel, und auch der salzverk�ufer, der die salzsteine in zeitungspapier einwickelte. einmal die woche kam der wassermeister. heute seid ihr dran, sagte er. er kam um f�nf in der fr�h. die kinder wachten auf und freuten sich: das wasser kommt! es wurde in einen tank gepumpt, der meist im keller stand.

heute, erz�hlt man mir, kommt der obstverk�ufer mit einem kleinen kombiwagen, versehen mit einer lautsprecheranlage. der verk�ufer singt nicht mehr, er schreit, laut und aggressiv.

sp�ter haben wir eine zeit lang im s�den des iran gewohnt. in einer gegend, die ich heute als kleinb�rgerlich bezeichnen w�rde. alle unsere nachbarn waren offiziere wie mein vater. wir wohnten in kleinen h�usern mit flachen d�chern. das leben fand im hof statt. dort stand eine palme, sehr nah an der mauer, so da� ich mich, kletterte ich hinauf, mit dem r�cken an die wand lehnen konnte. dort oben in der palme habe ich das pfeifen gelernt. ich habe so lange ge�bt, bis ich es konnte.

das haus hatte nur zwei zimmer, der sommer war hei�, und in den n�chten habe ich auf dem flachdach geschlafen. es war die zeit des putsches, 1953, und mein vater hatte befohlen, keine zeitungen mehr zu lesen — ein radio hatten wir nicht. nach dem putsch wurden viele freunde meines vaters verhaftet und hingerichtet. mit manchen von ihnen war er seit der kadettenschule befreundet. er wollte nicht von ihrem tod in zeitungen lesen.

aber mein kinderleben war nicht bedroht. vielleicht ist beh�tet das richtige wort f�r diese kindheit. sp�ter in der schule — die schulen waren staatlich, damals gab es keine privatschulen — sassen wir nebeneinander, armenier, bahai`i, zaratustrianer, aram�er, chald�er, juden, kurden, luren. ich habe den iran dieses nebeneinanders geliebt. mein vater war liberal, aber meine gro�mutter war stockreligi�s. und sie war antisemitin. f�r das abitur lernte ich daheim mit einem j�dischen freund. nat�rlich blieb er zum mittagessen. meine gro�mutter wusch sein geschirr gesondert ab. dennoch schwor gro�mutter auf doktor baruch, unseren hausarzt. als ich �lter wurde und ihr paroli bieten wollte, sagte ich: aber gro�mutter, er ist auch jude. sie antwortete: ja, aber arzt ist arzt. doktor baruch blieb der arzt unserer familie, so lange ich mich erinnern kann.

au�er gro�mutter lebte auch meine tante, die �ltere schwester meines vaters, mit uns. und ich liebte sie sehr. mittags legte sie sich schlafen. nach einer stunde schlich ich mich in ihr zimmer, sch�lte orangen f�r sie und bereitete den tee vor. wenn das wasser im samowar kochte, wachte sie auf und sagte: ach mein lieber said ist gekommen, ich wei�, er hat orangen gesch�lt f�r mich. — sp�ter, nachdem ich iran verlassen habe, ist sie dann wie viele andere in die usa, ausgewandert. vor zwei jahren ist sie dort gestorben. am abend vor ihrem tod verlangte sie ein tonbandger�t. sie hat eine nachricht f�r mich hinterlassen. der letzte satz lautete: vielleicht sehen wir uns wieder.


erschienen in dem band "in deutschland leben", c.h. beck verlag, m�nchen, 2004



said